Wieviel Herz gehört in die Unternehmenskultur? Und auf welche Weise zeigen Chefs, dass ihr Puls im Takt der gegenwärtigen Herausforderungen schlägt? Angesichts des signifikanten Wandels hin zu einem Arbeitnehmermarkt müssen Firmen die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden oder solcher, die es werden sollen, stärker fokussieren. Genau das machen Dreiviertel der Unternehmen bereits – zumindest im Kreise der rund 30 Teilnehmenden eines ausgesprochen interessanten Workshops. Dieser war jetzt mit dem Motto „Unternehmenskultur mit Herz“ betitelt und von gleich mehreren Akteuren am Arbeitsmarkt organisiert worden. Die Bundesagentur für Arbeit Schwerin, der Unternehmerverband Norddeutschland MecklenburgSchwerin e. V., die IHK zu Schwerin und das Unternehmensnetzwerk Erfolgsfaktor Familie (eine bundesweite Wissens- und Austauschplattform mit knapp 9.000 Mitgliedern aller Branchen) hatten eingeladen. Die Hochschule Wismar bot einen guten Rahmen: für spannenden Input von Projektleiterin Kirsten Frohnert (Erfolgsfaktor Familie) und den anschließenden Austausch. FACHKRÄFTE FINDEN UND BINDEN Elternzeit, Mutti-Schichten, Work-Life-Balance: Themen wie diese spielen seit geraumer Zeit eine Rolle, weisen jedoch Unterschiede zwischen den Babyboomern und der Generation Alpha auf. Verschiedene Altersgruppen haben nun mal unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen. Und gerade jene mit größerer Lebenserfahrung stehen vor einem echten Problem: Familie ist mehr als nur Kindern einen guten Start ins eigene Leben zu ermöglichen. Über die Pflege von Angehörigen wird keineswegs so offen und positiv gesprochen wie über den Nachwuchs. Kirsten Frohnert überraschte mit bemerkenswerten Zahlen. 117 Milliarden Stunden an Sorgearbeit werden pro Jahr in Deutschland geleistet. Zum Vergleich: das gesamte Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen Deutschland umfasst rund 60 Milliarden Arbeitsstunden. Allein in diesem Jahr weist die Statistik rund 4,5 Millionen zu Pflegende aus. „Unser System ist darauf ausgerichtet, dass Pflege zu Hause erfolgt“, so die Expertin. Auch dieses Erfordernis mit Berufstätigkeit zu vereinbaren, ohne selbst zum Pflegefall zu werden, bestimmt immer mehr den Alltag vieler erfahrener Mitarbeitender. GUTE KOMMUNIKATION SCHAFFEN Aber wer möchte was? Was wünschen sich Beschäftigte? Mütter atmen durch, wenn Arbeitgeber externe Zeit-Taktgeber berücksichtigen. Das heißt beispielsweise, kein Meeting um 15 Uhr zu terminieren, wenn wenig später die Kita schließt. Väter spüren Rückendeckung, sofern eine unterstützende Haltung gegenüber der Elternzeit wahrnehmbar ist und Arbeitszeitanpassung für familiäre Aufgaben nicht mit tradiertem Rollenverständnis gekontert wird. Pflegende hingegen wünschen sich Wertschätzung und Rücksichtnahme auf spontane Bedarfe. Und wie erfahren Firmen konkrete Bedürfnisse und finden entsprechende Lösungen? Hier setzte der Austausch an – Flipcharts füllten sich zusehends mit Best Practice-Erfahrungen hiesiger Unternehmen. Denn klar ist auch: Westmecklenburg als ländlich geprägter Raum kann sich nicht mit dicht besiedelten Regionen messen. Rund die Hälfte der Unternehmen sucht immer noch Auszubildende – immerhin ja auch ein wesentlicher Aspekt des Fachkräfte-Recruitings. Ein Grund ist eine unzureichende Abdeckung im Öffentlichen Personennahverkehr. Junge Leute kommen schlichtweg nicht oder nur beschwerlich an den Arbeitsort. Vier Punkte helfen, mit der Vereinbarkeit voranzukommen. Am Anfang steht die Bedarfsermittlung – am besten durch direktes Nachfragen. Daraus leiten sich passgenaue Maßnahmen ab. Diese werden zielgruppengerecht kommuniziert und öffentlich gemacht. Führungskräfte punkten durch eine authentische Haltung und fördern Vereinbarkeit. Gleiches Recht für alle: Regeln sind transparent und verbindlich. BALANCE ZWISCHEN INTERESSEN HERSTELLEN Wichtig sind zudem vermeintlich kleine Veränderungen, beispielsweise die geringfügige Erhöhung des Erwerbsumfangs. Wenn Vollzeit persönlichen Notwendigkeiten entgegensteht, kann Remote-Tätigkeit helfen, Wegezeit in Arbeitszeit umwandeln. Die Erhöhung der situativ verminderten Wochenarbeitszeit um eine Stunde würde deutschlandweit 70.000 Vollzeitstellen entsprechen. Ist Präsenz notwendig, unterstützen Schichttauschbörsen, Flexpool mit Wunschzeiten für den Einsatz und viele andere schon erprobte Ansätze eine flexible und im Umfang wachsende Arbeitszeit. Nicht zuletzt kann die Rentenberatung aufzeigen, welchen Mehrwert ein kleines Plus an Stunden für den Lebensabend bringt. Unternehmen profitieren sofort: durch bessere Bindung, Motivation und Verfügbarkeit von Arbeitnehmenden. Kirsten Frohnert ermunterte die Workshop-Runde: „Es lohnt sich betriebswirtschaftlich, familienbewusst zu agieren. Wir reden über kulturelle Fragen: über eine Kultur, in der einzelne Instrumente, Kommunikation und Haltung sich verbindlich darauf ausrichten, individuelle Vereinsbarkeitsbedürfnisse und betriebliche Interessen auszubalancieren. Dabei geht es um Belange aller in unterschiedlichsten Lebenslangen.“ Agentur für Arbeit Schwerin GEMEINSAMER WORKSHOP ZUM THEMA VEREINBARKEIT Unternehmenskultur mit Herz IHK ZU SCHWERIN Marco Woldt 0385 5103-207 woldt@schwerin.ihk.de 30 Existenzgründung & Unternehmensförderung Bild: pixabay_family-6475821 Wirtschaftskompass 01 | 02 | 2025
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